Recherchewege

»Ausgehend vom Saisonthema des Mozartfests Würzburg 2024 – Schuld und Vergebung: Seelenforscher Mozart – begaben sich der Regisseur des Musiktheater-Projekts Max Koch und ich auf diverse Recherchewege durch die Würzburger Stadtgeschichte. Denn uns war schnell klar, dass wir ein Stück entwickeln wollen, das von einem historisch bedeutsamen Ort für Würzburg ausgeht, und dass dabei nicht nur ein Stück über die Stadt, sondern vor allem auch aus der Geschichte der Stadt heraus, und auch für die Bürger:innen der Stadt Würzburg entstehen soll. ›Schuld‹ und ›Vergebung‹ sind zentrale Motive, die vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten Bedeutung erlangen, wenn das menschliche Miteinander auf die Probe gestellt wird. So näherten wir uns der jüngeren Stadtgeschichte zunächst über ihre militärische Prägung, besichtigten zum Beispiel das ehemalige Heeresverpflegungsheim im Hafen, verschiedene Kasernen, die nun größtenteils leer stehen und zu ›Lost Places‹ wurden oder aber im Zuge von Stadtplanungsprozessen umgebaut und nun anders genutzt werden, sodass sich Geschichte und Performanzen der Orte überlagern. Und vor allem interessierte uns auch die Interkulturalität, die Würzburg Jahrzehnte lang prägte. Bis 2008 waren US-amerikanische Soldaten in Würzburg stationiert, die das Stadtbild und die Gesellschaft beeinflussten. Freundschaften und sogar Familien entstanden zwischen ehemals ›Besatzern‹ und ›Besetzten‹, Fragen nach Schuld, Vergebung, Aussöhnung und Neuanfang überlagerten sich, deutsch-amerikanische Volksfeste wurden veranstaltet … Das heutige Hubland war einst eine kleine amerikanische Binnenstadt – die Lighton Barracks – und es erinnern heute noch Schilder und Gebäude an die ehemalige amerikanische Middle School, die mittlerweile zur Uni-Mensa wurde, die Elementary School und die großen Flugzeug Hangars, die nun mit Läden und Restaurants gefüllt sind. Und auch auf dem Flugplatz in Giebelstadt finden sich Spuren der amerikanischen Zeit Würzburgs, u. a. eine alte Fire Station.

Schließlich stießen wir durch das Mozartfest und Matthias Wagner auf den Mutterhauskomplex der Kongregation der Schwestern des Erlösers und hörten von einem Zeitzeugen, der die Nacht des 16. März 1945 im Luftschutzkeller überlebt hat und diesen Ort, der so schicksalsträchtig für sein eigenes Leben war, erst vor Kurzem, nach jahrzehntelangem Suchen, wiederentdeckt hat. Dieser Moment löste tiefe Emotionen und Erinnerungen aus, die erstmals als Zeitzeugenbericht im Rahmen eines künstlerischen Projektes zu hören sein werden und die als Inspirationsquelle in unser Stück Hell ist die Nacht einflossen – eine Spurensuche, Erinnerungsreise und ein Weg durch Schmerz, Trauer und das Aussöhnen mit dem eigenen Schicksal, das durch einen Krieg gezeichnet wurde – ein überzeitliches Thema, das durch das heutige Weltgeschehen erneut erschreckende Aktualität erlangt.« (Tamara Yasmin Quick, Dramaturgin)

Ehemaliges Heeresverpflegungsheim © Tamara Yasmin Quick

Giebelstadt US Fire Station © Tamara Yasmin Quick